Es besteht kein Zweifel, dass Winterreifen bei Schnee, Matsch oder Eis weit
besser sind als Sommerreifen. Oft wird aber auch behauptet, dass Winterreifen auch
auf trockener Fahrbahn bei Temperaturen unter 7 °C generell besser sein sollen
als Sommerreifen. Trifft diese Behauptung zu?
Oder ist der 7 °C-Wert mehr von den im Winter üblichen Temperaturen
inspiriert als von wirklichen Erkenntnissen? Von Unfallanalyse Berlin wurde
- fern von jeder emotional geführten Debatte - der Wahrheitsgehalt der
"7 °C-Regel" praktisch überprüft.
Alle bisher durchgeführten Tests kranken daran, dass es sich mehr oder
weniger isolierte Einzelversuche handelte - meist mit nur einem Fahrzeug
und einem Bereifungspaar. In der Studie, über die hier berichtet wird,
wurde dagegen in einem weiten Spektrum unterschiedlicher Pkw,
unterschiedlicher Reifenhersteller, Fahrbahnen und Temperaturen getestet.
Beteiligt waren vier Sachverständigenbüros aus ganz Deutschland. Von Unfallanalyse Berlin selbst
wurden 8 Fahrzeuge getestet, die Mitarbeitern
gehören. Dabei wurden pro Fahrzeug je 3 Messungen
mit Sommer-/ und Winterreifen durchgeführt.
Ein Beispiel
Der Kia Sorento wurde bei einer Außentemperatur von 6 °C getestet. Der Bremsversuch wurde an einem Tag und auf derselben Versuchsstrecke
durchgeführt. Beide Reifentypen haben gleiche geometrische Abmessungen. Alter und Profiltiefe der Reifen sind ebenfalls gleich.
Beide Reifentypen waren vorher jeweils eine Saison lang gefahren worden. Die Fahrbahn war trocken.
Bild 1 zeigt die Verzögerungsverläufe der Bremsversuche mit dem Kia mit Sommer- und Winterreifen.
Man erkennt deutlich, dass der Winterreifen um etwa 0,7 m/s² schlechter verzögert als der Sommerreifen. Durch die Winterreifen
wird der Bremsweg des Kia aus 50 km/h folglich um gut 1 m verlängert.
Ergebnisse im Überblick
Alle gemittelten Ergebnisse der Studie sind in Tabelle 1 gezeigt. Darin wurden die Bremsversuche rot markiert, bei denen die
Sommerreifen eine höhere Verzögerung erreichten.
Bei acht von 15 Versuchspaaren wurde mit den Sommerreifen eine höhere Bremsverzögerung als mit Winterreifen erreicht.
Die Temperaturen bei diesen Versuchen lagen zwischen -2,5 °C und +6 ° C. Sechs der sieben Versuche, bei denen die Winterreifen besser
waren, lagen im gleichen Temperaturbereich (-1 °C bis + 6 °C), einer bei - 7°C. Man kann vermuten, dass bei wirklich hartem Frost sich
das Bild zugunsten der Winterreifen ändern würde. Um das zu verifizieren wären jedoch weitere Versuche bei niedrigen Temperaturen
notwendig.
Acht der 15 ausgewerteten Versuchspaare fanden auf feuchter oder nasser Fahrbahn statt. Bei sechs dieser Tests waren die Winterreifen
besser. Ob sich hieraus ableiten lässt, dass Winterreifen auf kalten nassen Fahrbahnen den Sommerreifen tendenziell überlegen sind,
könnte ebenfalls nur mit weiteren Versuchen geklärt werden.
Fazit
Eines haben die Versuche in aller Deutlichkeit gezeigt: Die pauschale Behauptung, unterhalb von 7° C seien Winterreifen generell
besser, ist ein Märchen. Jedenfalls bei Temperaturen zwischen etwa 0 °C und 7 °C ist keine Überlegenheit der Winterreifen festzustellen.
Ob bei noch niedrigeren Temperaturen die Winterreifen in Vorteil kommen, wurde bisher nicht überprüft.
Soll man nun also Winterreifen aufziehen oder nicht? Die Frage kann nur in Abhängigkeit von Wohnort und Fahrgewohnheiten
beantwortet werden. Wer z.B. im Allgäu wohnt und auch im Winter regelmäßig über Land fährt, würde mit dem Verzicht auf Winterreifen
fahrlässig handeln. Ein Hamburger aber, der sich fast nur in der Stadt bewegt und an den wenigen Tagen mit Schnee oder Eis
ohnehin die öffentlichen Verkehrsmittel bevorzugt, braucht keine Winterreifen. Im Gegenteil: Möglicherweise wäre er mit
Winterreifen sogar unsicherer unterwegs - nämlich mit gegenüber der Sommerbereifung unnötig verlängertem Bremsweg.
Ein Radiobeitrag zum Thema (mp3)
Literatur:
Stelter, Marco; Leser, Hansjörg:
Winterreifen - ein Sicherheitsrisiko?
In: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik (VKU) Heft 11/2007, S. 289-293
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