Kollisionen zwischen geöffneten Pkw-Türen und vorbeifahrenden Lkw kommen nicht sonderlich häufig vor,
vor allem deshalb sind sie bislang wenig untersucht. Häufig geben es auch die Fälle nicht her, im
größeren Stil Versuche durchzuführen und damit einen hohen finanziellen Aufwand zur Klärung
eines Falles zu betreiben, weil die Schadensummen, um die gestritten wird, verhältnismäßig gering sind.
Während es noch relativ leicht möglich ist, zum Beispiel Versuche mit zwei Pkw durchzuführen -
insbesondere auf geringem Geschwindigkeitsniveau kann man solche Crashtests problemlos selbst fahren -
ist allein schon die Beschaffung eines verkehrstüchtigen Lkw, den man einer Kollision aussetzen kann,
ein Problem. Für reine Fahrversuche kann man einen Lkw noch ausleihen. Dann sind die
Möglichkeiten aber meistens auch erschöpft. Bei der Thematik, um die es hier geht, wäre es nötig,
zahlreiche Kollisionsversuche mit vielen unterschiedlichen Parametern durchzuführen. Ein solches
Vorhaben ist praktisch nicht realisierbar.
Daher wurde überlegt, inwieweit man Modelle anwenden kann. In der Ausgabe April 2011
der Zeitschrift Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik findet man einen Aufsatz der Unfallanalyse Berlin zu diesem
Thema, in dem im Wesentlichen auf zwei bei Unfallanalyse Berlin durchgeführte wissenschaftliche Arbeiten
zurückgegriffen wird. In der ersten Arbeit wurde mit einem Lkw an stehenden Pkw mit leicht geöffneten Türen
vorbeigefahren. Dabei wurden unter anderem die einsetzende Türbewegung beobachtet. Durch Gurte und Festhalten
wurde verhindert, dass die Tür gegen den Lkw prallen konnte. Der Versuch mit "echten"
Fahrzeugen zeigt im Video einen Lkw mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h, der an einem VW Caddy mit einem Abstand
von etwa 70 cm vorbeifährt. Die Tür ist ungefähr 25 cm weit geöffnet. In der Heckansicht erkennt man, wie
sich die Tür öffnet, wenn sich der Sattelauflieger ungefähr mit den Hinterachsen auf Höhe der Tür befindet.
Die Innenaufnahmen zeigen etwa zum gleichen Zeitpunkt, wie die Tür festgehalten wird. Deutlich zu erkennen
ist, wie der Insasse die Tür mit der Hand festhält und sich dabei aber
selbst noch in Richtung Türöffnung streckt. Letztlich half auch der Spanngurt, dass die Tür nicht gegen
den Sattelauflieger prallt. Ohne diese Sicherungsmaßnahmen wäre die Tür ohne Zweifel im Bereich der Räder
gegen den Sattelauflieger geprallt.Ein Anprall seitlich im Bereich der Hinterräder eines Sattelzuges ist eine typisch für Unfälle
auf einem Geschwindigkeitsniveau von etwa 50 bis 60 km/h.
Der nächste Gedanke war, ob man solche Versuche auch im Modell untersuchen kann, wobei zunächst schwierig
einzuschätzen war, mit welchen Geschwindigkeiten man diese Versuche durchführen muss, da einige Parameter
linear, andere quadratisch voneinander abhängen. Nach dem Motto "Learning by Doing" wurde daher ein Lkw-Modell
aus sehr leichtem Isolationsschaumplattenmaterial ("Depron") verwendet und auf umgebauten Carrerabahn-Fahrgestellen
so aufgebaut, dass man damit mehr oder weniger beliebig oft im Kreis an einem ebenfalls aus dem Schaumwerkstoff
gebauten Pkw-Modell mit einer leichtgängigen Tür vorbeifahren konnte. Die Geschwindigkeit lag bei knapp 10 km/h.
Die hier gezeigten Videos wurden mit 300 Bildern/sec aufgenommen. Unter den Pkw wurde in Verlängerung der
Scharnierachse eine Winkel- und Abstandsskala gelegt, sodass man die Fahrzeuge genau positionieren und
Bewegungen in den Filmen leicht ablesen kann. Mit der eingestellten Geschwindigkeit konnten Türbewegungen
nachgestellt werden, die sehr realitätsnah ausfielen. So konnte ebenfalls der typische Kontakt der Tür am
hinteren Seitenbereich des Sattelzuges nachvollzogen werden. Interessant war auch, dass
die Pkw-Tür am Anfang, wenn der Lkw den Pkw erreicht, ganz leicht geschlossen und erst danach aufgezogen wird.
Der Fahrzeugabstand bei den drei Modellversuchen lag einmal bei 60 mm mit einem Türöffnungswinkel von 20° und
zweimal bei einer Öffnungsweite von 30 mm und 10° Öffnungswinkel. Obwohl die beiden letzten Versuche unter
gleichen Bedingungen stattfanden, kam es zwar in beiden Versuchen zu einem Kontakt zwischen Tür und Sattelauflieger,
im letzten Versuch aber offensichtlich geringfügig früher, sodass das Pkw-Modell von der Bahn gestoßen wurde. Eine
vollständige Reproduzierbarkeit wäre bei dem recht einfachen Versuchsaufbau auch wohl zu viel verlangt gewesen.
Die Versuche von Unfallanalyse Berlin haben gezeigt, dass der Sog eines vorbeifahrenden Lkw unter bestimmten
Voraussetzungen durchaus geeignet ist, eine teilweise geöffnete Tür eines Pkw weiter aufzuziehen. Dadurch
wäre ein Anstoß im hinteren seitlichen Bereich eines Sattelaufliegers möglich gewesen, wenn die Tür nicht
aufgehalten worden wäre. Es zeichnete sich ab, dass der Lkw zumindest mit ca. 50 km/h fahren muss. In den
Modellversuchen zeigte die Tür des Modell-Pkw praktisch exakt das gleiche Verhalten des echten Pkw bei den Realversuchen.
Daraus wurde gefolgert, dass die vergleichsweise leicht durchzuführenden Modellversuche tendenziell tatsächlich
geeignet sind, ein reales Unfallgeschehen dieses Typs zumindest in erster Näherung nachzubilden.
Quellen:
Jammer, Christoph: Auswirkungen der peripheren Druckverhältnisse an einem fahrenden Lkw auf angelehnte Pkw-Türen. Studienarbeit TU Berlin, 2009
Böhm, Tobias: Die Sogwirkung vorbeifahrenden Lkw an geöffneten Pkw-Türen. Technikerarbeit Karl-Benz-Schule Gaggenau in Zusammenarbeit mit Unfallanalyse Berlin, 2009
|
 |
|